Dienstag, 9. Dezember 2014

Suspiria {1977}

"You can run from Suspiria, you can hide from Suspiria but you can not escape from Suspiria!!"


Mit diesem Slogan lockte damals im August 1977 der eher fehlleitende US-Trailer viele Horrorfans in die Kinos.

In Deutschland hingegen landete ein weiteres Meisterwerk des Horrors in der versiegelten Akte, um den asketischen Tatort-Konsumenten vor einer moralischen Krise zu bewahren.

Dass sich die in rot geschriebene Drohung im Jahre 2014 hierzulande doch noch bewahrheiten würde, hätte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdete Medien wohl damals nicht erwartet.

Wenn heutzutage in so manchem französischen Horror die Enthauptung kurzerhand mit dem Schuhschränkchen vollzogen wird, dann kann man nach all den Jahren schon mal ein Auge zudrücken und im abgehärteten 21. Jahrhundert das italienische Giallo-Messer mit ruhigem Gewissen vor sich hin stochern lassen.

...und so verschwindet Suspiria vom Index!

Anlässlich dieser frohen Botschaft lässt der deutsche Fan-Publisher "84 Entertainment" die Herzen vieler Argento Jünger höher schlagen und released eine nahezu perfekte Edition des Indie-Klassikers. Dies bedeutet, dass uns eine ungeschnittene Blu-Ray Fassung vorliegt, die unter Beaufsichtigung von Dario Argento, in jahrelanger Arbeit restauriert wurde. 

Der Clou: Argento´s Augenmerk bei der Aufbereitung lag vorallem darin, dass der Film erstmals in farbechtem Technicolor präsentiert wird.

Genug der Lobeshymnen an dieses grandiose Release. Um was geht es in Suspiria?

Handlung: 

Die US-Amerikanerin Suzanne Banyon reist nach Deutschland (Freiburg im Breisgau), um Unterricht an einer Ballettschule zu nehmen. Bei ihrer Ankunft trifft sie auf eine verängstigte Frau die apathisch etwas vor sich hin stammelt und daraufhin die Schule verlässt. Am nächsten Tag zieht Suzy in die Schule ein und muss erfahren, dass die geflohene Schülerin die Nacht zuvor tot aufgefunden wurde. Als sich mysteriöse Ereignisse in der Tanz-Akademie zutragen, beschleicht Suzy das Gefühl, dass sich ein dunkles Geheimnis in den Eingeweiden der Schule befindet. Was wusste die ermordete Schülerin? 

Argento, der mit seinem bisherigen
Œuvre einen hohen Stellenwert im Giallo-Genre genießt, wagt sich mit Suspiria erstmals in die Gefilde des reinrassigen Horrors. Als Inspiration für die Story diente ihm dabei der Roman von Thomas De Quincey "Confessions of an English Opium-Eater". Lediglich die Idee über die "Three Mothers" entspringt dem Buch, auf dem "Suspiria", sowie Argentos spätere Filme "Inferno" und "Mother of Tears - The Third Mother" basieren. Zusammen sollten die eben erwähnten Titel später dann als die Mother-Trilogy bekannt werden.

Steigen wir direkt in die Atmosphäre des Films ein.

Wir befinden uns in einem höher gelegenen Appartement. Ein Windstoß lässt das Fenster aufspringen und eine Frau schreit auf. Ansich kein Grund beängstigt zu sein. Die Frau, bei der es sich um eine eben entflohene Schülerin der örtlichen Tanz-Akademie handelt, würde dem widersprechen, denn sie weiss von einem dunklen Geheimnis. Ihre Angst verstärkt sich als die Frau das Fenster schließt und sie sich plötzlich beobachtet fühlt. Jetzt schlüpfen wir in die Sicht einer Präsenz, die sich jenseits des Fensters befindet, scheinbar schwebend, die Frau beobachtend.

Der psychedelisch sowie bedrohliche Soundtrack der italienischen Progressiv Rock Band "Goblin" setzt ein und uns stockt der Atem, bis die Frau nach einer gefühlten Ewigkeit ihr groteskes Ende findet...
...das Geheimnis bleibt gewahrt.

Man stelle sich vor, man sei in einem Märchen ala Alice im Wunderland gefangen, das hinter seiner augenscheinlich ästhetischen Umgebung immer mehr von seiner Schattenseite preisgibt, für die richtige Würze vermischt man Suspiria dann noch mit einer Prise Synthetik wie aus einem Modekatalog. So fühlt sich der Film im Groben für mich an. Im Groben, weil der Film einfach einen ganz eigenen, unvergleichlichen Charme besitzt.

Alles fühlt sich surreal und künstlich an. Argento schafft die perfekte Symbiose zwischen modernem Märchen und Horror.

Mit dem Vorsatz eine Atmosphäre zu schaffen, die an Zeichentrick-Klassiker wie Disney´s Schneewitchen erinnern soll, hat Argento keine Mühen gescheut und die letzten Bestände des damals schon veralteten, sowie seltenen Technicolor Filmmaterials aufgekauft, um den Film nach seiner Vorstellung zu verwirklichen. Das zeigt sich im Film selbst durch eine umfangreiche und stilistische Farbpalette, die sowohl sehr ästhetisch aussieht, wie auch von Falschheit zeugt, ganz so wie das äusserlich perfekte und elitäre Renommee der Tanzschule.  


Ganz nach der Prämisse "Show, don´t tell"!
 
Der Film als Medium und Suspiria sind das perfekte Paar. Das Schlüsselwort lautet hier: Performatives Kino. Sprich, erzählt wird durch stereotypische Bilder, fast wie in einem Musical oder Theater erzählt der Film seine Geschichte durch die Handlungen seiner archetypischen Figuren, da selbst bei der Protagonistin keine tiefgehende Charakterzeichnung vorhanden ist. Suzy übernimmt in diesem Fall die Rolle des naiven Schulmädchens, die auch genau so handelt wie man es von ihr erwarten würde. Das ist natürlich volle Absicht, denn Argento wollte die Akademie ursprünglich als Mädchen-Tanzschule in die Geschichte einbauen, um die Verwundbarkeit der Charaktere hervorzuheben. Aus Angst der Westen könnte nach einer detaillierten Sezierung des Films die ein oder andere Zweideutigkeit entdecken, hatte man sich doch für eine volljährige Cast entschieden und ihnen entsprechend infantile Charakterzüge verpasst. Argento wählte Jessica Harper als Lead wegen ihrer großen Augen, sowie der hohen Stirn, die sie sehr kindlich wirken lassen...fast wie ein Charakter aus einem japanischen Manga, um Argento zu zitieren. Man achte ausserdem auf die riesigen Türen und sehr hoch montierten Türklinken der Tanzschule, die alle Schülerinnen nochmals kleiner wirken lassen. Besonders der strengen und völlig übertrieben dargestellten Tanzlehrerin Miss Tanner, gespielt von Alida Valli, sieht man mit ihrer unheimlichen Mimik gerne zu und sie ist vermutlich die stärkste Rolle des Films. Valli ist dabei durch ihr maskulines Auftreten fast nicht wieder zu erkennen.

Das infantile Verhalten von Suzy hat vorallem einen großen Effekt auf uns als Betrachter. Wir fühlen uns in die Kindheit zurückversetzt, in der uns erstmals unheimliche Wesen begegneten, wenn Mama aus Grimms Märchen (oder die ein oder andere slavische Erzählung) vorgelesen hatte. Man schaudert, aber fühlt sich gleichzeitig wohl im Bett (oder im Falle des Films auf der Couch) zu sitzen. Ähnlich wie in Blue Velvet spielt Suspiria mit einer "investigativen Neugier", wie man sie als Kind oft verspürte. Das fühlt sich gut und gemütlich an.

Die Direktorin der Akademie wohnt angeblich im Haus. Wieso ist sie nie anzutreffen? Suzy und Sandra wollen das Geheimnis der Schule lüften.

 
Suspiria ist durch seine metaphorische Kameraführung in gewisser Weise auch als Meta-Film zu betrachten. An vielen Stellen gibt es observierende POV-Shots, Nahen die uns nicht um die nächste Ecke spähen lassen, sowie die Verwendung von Spiegelungen, die auf das Thema der Scheinwelt bzw. das Übernatürliche anspielen
Suspiria bedeutet soviel wie "Die Seufzende"

Erst als ich den Film schon einige Male gesehen hatte fiel mir auf, dass sich die Thematik des "Hören von Dingen" wie ein roter Faden durch den ganzen Film zieht. Die Protagonistin Suzy und ihre Freundin Sandra müssen im übertragenen Sinne hinter die samtroten Vorhänge der Schule blicken und wollen die Wahrheit hinter dem Verschwinden ihrer Mitschülerinnen aufdecken...ausserdem ist da dieses nächtliche Seufzen!? Sie erkennen, dass sie sich auf ihr Gehör verlassen müssen wenn sie das Geheimnis entschlüsseln wollen. Aber wie soll man die Ohren spitzen, wenn das gesamte Personal durch eine totalitäre Hausordnung und einer freiheitsberaubenden "Fürsorge" jeden Versuch der Sinnesschärfung im Keim erstickt? Das was ich hier versucht habe in einem Satz wiederzugeben wird im Film sehr passend von der labyrinthartigen Architektur der Akademie untermalt...und scheinbar kennen nur die Lehrerinnen den Weg zur Wahrheit.

Die Musik von "Goblin" hallt noch lange, über das Ende des Films hinaus, nach.
Der großartige Soundtrack von Goblin könnte nicht einzigartiger sein und passt mit seinem psychedelischem Klang perfekt zur fantastischen Thematik von Suspiria. Die Melodie des Main-Themes erinnert fast schon an ein Kinderlied und wird dann von unheimlicher Lautmalerei und okkultem Chanting durchzogen. Blecherne Trommeln, Glockenspiele und die silbrigen Klänge der Buzuki sind zu hören. Letztere auf ausdrücklichen Wunsch von Argento hin, der die griechische Gitarre wegen ihrem fremdartigen Klang im Soundtrack haben wollte.

Metaphysisches Deutschland als Location

Wer so wie ich in Bayern lebt dürfte besonders verwirrt sein wenn man auf der Rückseite der DVD/Blu-Ray lesen muss, dass sich die Geschichte in Freiburg im Breisgau abspielen soll, der Film selbst aber an vielen bekannten Orten in München spielt. Spätestens wenn einem nach einem hartem Schnitt ein urbayerischer Schuhplattler im Hofbräuhaus serviert wird, realisieren selbst Zuschauer die bisher noch nie in München waren, dass hier was faul im Staate Dänemark ist. Irgendwann fiel mir auf, dass nie erwähnt wird wo sich die Tanzschule tatsächlich befindet. Selbst Deutschland wird nie genannt. Dass Freiburg die richtige Antwort ist wurde mir erst klar als ich die italienische Fassung gesehen hatte. Dort ist während der Opening-Credits ein von Argento selbst eingesprochenes Voice-Over zu hören, in dem er neben einer kurzen Einführung der Story den tatsächlichen Städtenamen erwähnt. In Freiburg steht übrigens das "Haus zum Wahlfisch", das als Fassade für die Tanzakademie diente...das architektonisch wunderschöne Innenenleben der Schule wurde leider nur im Studio in Italien gebaut.

Fazit: 

Mystisch, ästhetisch, spannend, unheimlich und vorallem märchenhaft.
Für mich ist Suspiria ein Meisterwerk des Horror-Genres, fernab von Gore-Orgien und Torture-Porn, sondern tief in den Ursprüngen des psychologischen Horrors verankert. Auch wenn mir Argento´s Motivation in so vielen seiner Filme oftmals fremd ist (und er in aktuellen Interviews sehr wenig dazu liefert), kann ich förmlich spüren, wie Argento hinter der Kamera am werken war, dass er Suspiria bis zur letzten Sekunde mit akribischer Detailverliebtheit komponiert hat und dabei so gut wie jeder Shot des Films Bände zu sprechen scheint. Lange musste ich überlegen was eigentlich mein Lieblingsfilm ist, wo ich mir diese Frage aus irgendeinem Grund nie wirklich gestellt hatte (vermutlich wegen der unendlichen Auswahl an großartigen Filmen). Nach zigmaligem Sehen und nach wie vor ausbleibendem Sättegefühl, ist es Suspiria geworden...auch auf die Gefahr hin, oder vielleicht gerade deshalb, dass bei meinen glorifizierenden Ausschmückungen eine gute Portion Nostalgie mit im Spiel ist. Für mich der mit Abstand beste Argento und eine unglaubliche Bereicherung für meine heutige Wahrnehmung von Filmen.

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